Mein erstes Mal

Einstiegsdroge Dachsteinrunde

  10 Minuten

Wann?Erlebt von 25. - 28.5.2017
Wo?Dachstein; Bad Goisern – Gröbming – Filzmoos – Abtenau – Bad Goisern
Wie lange?4 Tage, ca. 230 km
Wie hoch?5700 Höhenmeter (inkl. Umwege)

Je jünger man ist, desto häufiger macht man Dinge zum ersten Mal. Zum ersten Mal das Meer sehen, zum ersten Mal freihändig fahren, zum ersten Mal vom Zehner springen. Mit den Jahren werden die ersten Male immer seltener. Warum eigentlich? 

Ich unternehme mit 28 zum ersten Mal alleine eine mehrtägige Biketour mit meinem Gepäck am Rücken. Und dabei kommt gleich eine geballte Ladung erster Male auf mich zu.

Doch so abenteuerlich das klingen mag – die größte Herausforderung ist erst einmal, mein Vorhaben meiner Mutter zu schildern. Ich habe überlegt, es nicht zu tun, aber meine nervöse Vorfreude und akribische Planung verraten selbst bei den seltenen Treffen, dass ich etwas im Schilde führe.
Ich weiß, sie bemüht sich sehr, ihre Besorgnis in Zaum zu halten, doch es gelingt ihr nicht. Was da alles sein kann, allein als Frau unterwegs. In der Wildnis. Wenn da was passiert …
Hilft nix, da müssen wir beide durch.

Am Morgen des 25. Mai 2017 fällt mein Startschuss.
Große Augen. Ich fische mein Bike aus dem Kofferraum, wo es in einer zähen Suppe aus Dichtmilch schwimmt. Während ich eine Etage höher das nächtliches Gewitter in Bad Goisern hab vorüberziehen lassen, muss sich wohl die Dichtmilch meines Tubeless-Hinterreifens in die ewigen Kofferraumritzen verabschiedet haben.
Am Feiertag kann ich keine Dichtmilch kaufen und jammern hilft auch nichts, wenn keine Zuhörer in der Nähe sind. Also Pumpe raus aus dem perfekt gepackten Rucksack und ausprobieren, mit wie viel - oder wenig - Dichtmilch so ein Reifen auskommt.
Naja, den Startschuss zu meiner ersten Solo-Mehrtages-Mountainbiketour hatte ich mir anders vorgestellt. Irgendwie heldenhafter.

Ich rolle vorbei am Agathawirt und bin wenige Meter später sehr dankbar für den vorabendlichen Tipp des Wirts: “Isst halt net z’vü zum Frühstück, der Pötschenpass ziagt gonz schen on”.
Recht hat er! Die alte, gepflasterte Straße bäumt sich auf und ich trau mich nicht, so früh am Morgen schon Pausen zu machen. Noch nie zuvor habe ich 2000 Höhenmeter an einem Tag absolviert und kann noch nicht gut abschätzen, wie viel Kraft und Zeit mich das kostet.

Scheinbar bin ich aber nicht die einzige, der der Pötschenpass in den Oberschenkeln brennt. Ich überhole zwei Biker am Wegesrand und in meinem Kopf fängt schon der Film voller schauriger Szenen aus der Sammlung meiner Mutter an zu laufen.

Einen halben Tag, eine frische Kaspressknödelsuppe auf der Steinitzenalm und rund 1500 Höhenmeter später hole ich die beiden Biker zum zweiten Mal an diesem Tag ein. Zwei Bayern, die anstelle des geplanten Vatertagsausflugs an den Donauradweg kurzfristig die Dachsteinrunde eingeschlagen haben. Einer kämpft verbissen um Kraft und Motivation für die letzten Tageshöhenmeter und die gegenseitige Gesellschaft tut uns allen gut.

Bei der Viehbergalm schlüpfen wir bei 5°C in alle Bekleidungsschichten, die wir dabei haben. Viel ist das bei den Bayern mit inkludiertem Gepäcktransport nicht und ich bin zum ersten Mal froh über meine sechs Kilogramm am Rücken. Dann fotografieren wir gegenseitig unsere spektakulären Tageserfolge vor der Felskulisse und stürzen uns in die berühmten Gröbminger Öfen.

Tag Zwei fängt deutlich besser an. Mein Reifen hat die Luft fast vollständig behalten und vor mir liegt der gemütlichste der vier Streckenabschnitte - von Gröbming nach Filzmoos.

Vorbei an satten Wiesen und ebenso satten Kühen stoße ich nach Aich auf eine fünfköpfige Männerrunde.

“Bei uns ist auch einer aus Waidhofen, wart, Christian!?”  Christian kenne ich. Sein Vater war mein Lehrer und es bestätigt sich: Die Welt ist ein Dorf.

Wir fahren alle dasselbe Tempo und ich werde automatisch in die oberösterreichische Herrenrunde integriert. Gemeinsam schrauben wir uns den Kulmberg hoch, teilen Traubenzucker und Wasser. Wie das eben so ist, wenn man Gleichgesinnte trifft.

Vor uns stellt sich das Dachsteinmassiv in all seiner Pracht demonstrativ auf, lässt den Blick vom Trail stets die Gletscherzungen entlang schweifen und erinnert uns daran, wer Namensgeber dieser Tour ist.

Nach einer ordentlichen Portion Kohlenhydrate in Form von bike-typischer Pasta im Waldcafe Liftstüberl in Ramsau strampeln wir die Kalte Mandling mit ihrem türkisblauen Gletscherwasser entlang nach Filzmoos.

Mit den letzten Sonnenstrahlen, die ums Hauseck lugen, versuche ich Trikot und Bikeshorts am Balkon der Pension zu trocknen. Doch auf 1000 Metern Seehöhe herrscht selbst Ende Mai noch eine frische Brise.


Beim Butter-Marmelade-Brot und Filterkaffee erzählt mir meine Pensionswirtin von ihrer verstreuten Familie. Die Tochter lebt in Holland, aber für die 80-jährige Berggeherin wäre das nichts “wenn i am Montog scho siach, wer am Freita’ zu Besuch kommt…”

Ihre Worte hallen nach, als ich mich bei glitzernden Tautropfen immer tiefer und höher durch den Wald hinauf arbeite, die Bischofsmütze mit ihren Felszinnen vor Augen. Besuch oder andere Menschenwesen sind hier zwischen den Bergflanken keine in Sicht.

Stundenlang bin ich allein unterwegs. Immer höher und höher führt mich die Forststraße. Ich absolviere Kehre um Kehre, kaue einen Müsliriegel am Baumstumpf, begegne endlich Wanderern und schraub mich weiter hinauf. An einer Viehtränke fülle ich meine Trinkflasche, lobpreise unsere Alpenquellen und genieße den wohl schönsten Ausblick der gesamten Dachsteinumrundung. Unter mir schlängeln sich die Serpentinen, vor mir tänzelt Bergspitze neben Bergspitze und buhlt um einen Platz an der Sonne.

Der kalte Wind, der mir trotz strahlenden Sonnenscheins um die Ohren pfeift, lässt erste Zweifel in mir aufkommen. Warum ist es hier so kalt und warum bin ich so hoch im Gebirge? Laut Route sollte ich kaum über 1000 Metern Seehöhe sein, doch hier sieht mir das nicht danach aus. Ich treffe auf einen Wegweiser und glaube für einen kurzen Moment, dass es sich nur um einen orientierungslosen Wegmacher handeln kann, der den hier aufgestellt hat.

Aber nein. Ich bin es, die sich gewaltig verfahren hat. Zwei einheimische Biker bestätigen meinen Verdacht, dass ich seit fast 600 Höhenmetern in die falsche Himmelsrichtung unterwegs bin. Noch nie zuvor habe ich mich so weit verfahren, aber es gibt für alles ein erstes Mal. Bike schwenken und runter. Wenigstens sind die Meter bergab deutlich schneller absolviert. Und da ist er auch schon wieder, der schwarze Wegweiser, den ich für blau gehalten und dem ich blind gefolgt bin.
Soll wohl so sein. Umwege erweitern ja bekanntlich den Horizont und dieser war da oben ganz besonders beeindruckend.

Ich rolle das Lammertal entlang und steuere Abtenau über eine grob-schottrige Rampe an. Die letzten zweieinhalb Tage im Sattel und der rigorose Umweg kosten mich schon Kraft und Konzentration. Ein großer Stein wird zur unüberbrückbaren Hürde und ich falle bergauf einfach um. Beim Blick auf’s blutige Knie tröstet mich nur der Gedanke, dass es tatsächlich nur noch wenige Kilometer bis zum Tagesziel sind.

Im “Weißen Rössl” am Hauptplatz von Abtenau überrascht mich ein deutlich moderneres Zimmer als erwartet. Ich spüle meine durchgeschwitzten Teile aus, hänge sie am Balkon zum Trocknen auf, hüpfe unter die Dusche, bemerke meinen Sonnenbrand und schlafe sofort im kuscheligen Bett ein. Nach einer kurzen Rast klappere mit meinen Klickpedal-Schuhen wenige Hundert Meter zum nächsten Gasthaus. Viel Fleisch und noch viel mehr Fett scheinen mir jetzt genau richtig. Zurück im Hotel habe ich jedoch das Gefühl, ich könnt gleich noch so einen Grillteller essen.

Noch vor Sonnenuntergang schlafe ich wieder ein und werde erst beim Weckerläuten munter. Ich fühle mich bereit für die letzte Etappe. Die letzte Etappe… Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich am Ende dieses Tages wieder ins Auto steigen und nach Hause fahren werde. Die Szene scheint noch in einer völlig anderen Welt zu spielen.

Von Abtenau geht’s wieder ein Stück die gestrige Strecke retour, bevor der 800 Höhenmeter dauernde Aufstieg auf den Hornspitz mit asphaltierten Serpentinen loslegt. Nur noch einzelne Häuser sind in den Hang gestreut, bevor der Weg endgültig in den Wald eintaucht und unter Liftstützen hindurch über Almboden hinweg die Bergstation ansteuert.

Nach menschenleeren Stunden treffe ich an einer Forstschranke eine Bäuerin, die in einem der Bergbauernhöfe lebt. 63, ledrige Haut, neue Bikeschuhe, die am Carbon-Hardtail heran reiten. Heute fährt sie nur eine kleine Runde, weil sie dann gleich zur Schnapsverkostung muss. Sie meint das ernst und ich lege eine Müsliriegel-Pause ein. Lange hätte ich dieses Tempo sowieso nicht durchgehalten.


Die Gedanken sind in dieser Höhe ebenso klar wie die Bergluft. Vom Konsumrausch der Städte, Verpflichtungen oder dem restlichen Weltgeschehen bekommt man hier nichts mit. Eine strahlend blaue Hütte lädt mich ein, hier zu bleiben, doch die Vorfreude auf die Abfahrt ruft.

Doch vorerst wird’s wohl nix mit der lohnenden Abfahrt. Grob und felsig gestaltet sich der ziemlich senkrechte Trail hinab in Richtung Rußbach. Zum ersten Mal trage ich mein Bike abwärts statt - wenn’s gar nicht mehr anders geht - aufwärts. Erst gegen Ende geht die Schneise in einen Waldboden über und führt letztlich geschmeidig ins Tal. Nur noch einmal muss ich kräftig in die Pedale treten bevor ich auf der viel befahrenen Straße zwischen Gosau und Hallstatt lande. Im Vergleich zu den vergangenen Tagen scheint mir das hier das gefährlichste Unterfangen zu sein. Ich versuche, dem KFZ-Wettrennen zu entkommen und biege noch ein letztes Mal in eine Forststraße ein. Entspannt kann ich noch einige Kilometer durch Wald und Wiese genießen.

Es sind wertvolle Momente, das spüre ich. Denn mit jedem Meter in Richtung Ausgangspunkt verwandelt sich das Knarren und Knacken der Hölzer und Wälder zu Stimmen und Motorengeräuschen.

Der immer noch mit Dichtmilch verdreckte Kofferraum erwartet mich genau an der Stelle, wo ich ihn vier Tage, 230 Kilometer und 5700 Höhenmeter zuvor versperrt hab. Vorsichtig lege mein Bike hinein, meinen Rucksack daneben und wechsle die Schuhe zum Autofahren. Einen Moment lang schließe ich die Augen, bevor ich den Schlüssel im Zündschloss drehe.

Ich habe zum ersten Mal alles, was ich zum Leben brauche, in einen Rucksack gepackt. Ich bin zum ersten Mal in ein umzäuntes Grundstück gegangen, um mir Wasser aus dem Gartenschlauch zu holen (man sperre mich bitte nicht deswegen ein). Ich habe zum ersten Mal viele Stunden mit fremden Männern in Wäldern verbracht (man sperre mich deswegen bitte auch nicht ein). Ich hab mehr erlebt und mehr gelebt, als hier Platz finden könnte.
Aus dem Repertoire der Befürchtungen meiner Mutter war glücklicherweise nichts dabei.

PS: Zum ihrem 60. Geburtstag hat sich meine Mutter eine mehrtägige Mountainbike-Tour mit mir gewünscht. In wenigen Wochen fahren wir los. Sie freut sich auf ihr erstes Mal.


Infos

Lässt man alle absichtlichen und unabsichtlichen Abstecher beiseite, handelt es sich hier um die Dachstein-Variante blau.  Die Strecke ist bestens beschildert, mit anderen Bikern sowie kulinarisch gut bestückt und definitiv eine perfekte Einstiegsdroge für Mehrtages-Biketouren. 

Das war mein Basismaterial und meine Inspirationsquellehttps://www.mountainbike-magazin.de/touren/touren-der-mountainbike-redaktion/oesterreich/in-4-etappen-mit-dem-mtb-ums-dachstein-massiv-etappeninfos-und-gps-daten.1513872.2.htm  

Infos gibt's auch auf: https://www.salzkammergut.at/detail/article/12925-die-dachsteinrunde.html

Verschiedene Anbieter bieten die Tour auch inklusive Gepäcktransport. Meiner Erfahrung nach reicht aber ein 26l-Bikerucksack, wie ich ihn genutzt habe. Meine Packliste, die ca. 6 kg am Rücken ergibt, findest du zum Download hier.

Als absoluten Gastro-Tipp kann ich den Agathawirt in Bad Goisern empfehlen, wo man regionale Köstlichkeiten mit Biketipps serviert bekommt. Auf der Höh' lohnt sich der Besuch der Steinitzenalm, wo es liebevoll von Hand gemachte Almschmankerl und tierische Gesellschaft gibt.

Du hast Fragen zur Tour, möchtest Sie nachfahren oder sonst etwas wissen?
Dann schreib mir doch an bikebabsi@gmail.com – ich freu mich!  


Fast live dabei bist du beim nächsten Abenteuer mit der Bike-Post