Spurensuche auf Fuerteventura

Mit dem Mountainbike zwischen Vulkan und Atlantik

  6 Minuten

Wann?Erlebt am 2.1.2018
Wo?Fuerteventura, Kanarische Inseln
Wie lange?82 km, one-way, 5 Stunden Fahrzeit
Wie hoch?960 Höhenmeter


Als ich den Worten aus dem zahnlosen Mund des gebückten Mannes zu folgen versuche, frage ich mich, wozu ich zwei Monate lang Spanisch gelernt habe. Ich verstehe nur so viel: Er glaubt mir nicht, woher ich komme. Und er bestreitet, dass es von Puerto del Rosario überhaupt einen Weg nach Antigua abseits der Schnellstraße geben würde.

Dabei hat sich meine heimatliche Trail-Recherche bisher bezahlt gemacht: Die Strecke des jährlich stattfindenden Militär-MTB-Rennens FudeNaS ist nämlich nur während des Rennens ausgeschildert und davon abgesehen offiziell nur eingeschränkt befahrbar. Mithilfe der online einsehbaren Route, der detaillierten Landkarte des Reiseführers und den Satellitenbildern von Google Earth identifizierte ich also jeden Ziegenpfad, den auch die Profis während des Rennens befahren würden und trage ihn in meine eigens “erweiterte” Karte ein.

Schon wenige Kilometer nach dem Start im Reißbrett-konstruierten Corralejo schwappen mir die realen Navigationsbedinungen unbarmherziger entgegen als rechterhand die Atlantikwellen der Nordküste. Alle paar hundert Meter zweigt eine staubige Rinne von der Küstenstraße genannten Sandpiste ab. Dem peniblen Abgleich zwischen Tachoanzeige und Karte ist es zu verdanken, dass ich tatsächlich die richtige “Rinne” erwische.
Nun schraube ich mich zwischen erloschenen Vulkanhügeln Meter um Meter über die Meereshöhe. Zerbrochene Glasscheiben am Rande der Rinnen und Pfade zeugen immerhin davon, dass ich nicht die einzige bin, die diesen Weg eingeschlagen hat - wenn auch nicht mit dem Mountainbike.

Immer wieder komme ich mir vor wie eine Pfadfinderin, wenn ich den Weg vor meinem Vorderrad nach weiteren Spuren absuche oder an sandigen Kreuzungen nach einer stärker oder weniger stark befahrenen Fahrspur Ausschau halte.

Den charmanten Inselort Lajares kenne ich schon von früheren Besuchen und streife ihn nur am Ortsrand. Ein Blick auf meine erweiterte Karte lässt mit vielen handgezeichneten Strichen unbekanntes Terrain am Weg Richtung der Bezirkshauptstadt La Oliva vermuten. Vorbei an noch nicht fertiggestellten und verfallenen Häuschen werden die Zeichen der Zivilisation immer weniger und die Sandpiste immer schmaler, doch die Richtung stimmte. Hier war ich also wieder an einer Stelle, die sich am Satellitenbild durch einen leichten Farbunterschied als Weg klassifizierte: Ein verblockter Ziegenpfad aus Vulkangestein. Hätte ich nicht drei schwabbelige Liter Wasser am Rücken und wäre ich nicht allein in dieser gottlosen (und von Handyempfang ausgesparten) Gegend, wäre der Pfad zumindest teilweise fahrbar. So aber entscheide ich mich für den sicheren Fußmarsch und werde immerhin mit ausladenden Blicken über Vulkanhügel bis an den Horizont des Atlantik bei Laune gehalten.

Nasenbluten. Etwas, das ich bei Hitze häufig bekomme. Offensichtlich hatte sich mein Körper doch nicht innerhalb von eineinhalb Tagen vom österreichischen Winter auf kanarische 29° C eingestellt, was selbst für Fuerteventura im Jänner wirklich heiß war. Die Zwangspause in einem mit Schilf gedeckten Unterstand lässt mich immerhin erkennen, dass ich mich nun auf einer ausgeschilderten Wanderroute durchs vulkanische Hinterland befinde, was offensichtlich auch Teil der Rennstrecke ist - in Österreich übrigens völlig undenkbar.
Eine gegenüber meiner Reiseführer-Karte neu errichtete Straße machte den weiteren Weg Richtung Caldereta weniger zum Trailerlebnis als zu einer Studie über das Fahrverhalten der Insulaner. Mein Ergebnis: Sie gehen mit Fahrradfahrern auf Überlandstraßen überraschend rücksichtsvoll um. Das mag daran liegen, dass die starken Winde auf der Insel schon mal den einen oder anderen Biker vom Randstreifen in Richtung Fahrbahn abdrängen und Abstand halten daher (tod)ernst genommen wird.

Vom strahlend weißen und aufgeheizten Kirchenvorplatz in Calderetta biege ich schon nach wenigen Metern rechts auf eine breite Schotterpiste ab. Wenn auch recht breit und gut befestigt, so schwappte der Weg Richtung Hauptstadt einige Male durch ausgetrocknete Flussbette. Eine Gegend, wo Geländewagen und Geländefahrräder definitiv ihre Berechtigung haben.

Die Küsten-Kilometer mit Kurs auf die Hauptstadt Puerto del Rosario führen mich vorbei an Touristen-Siedlungen und Hotels. Einem Espresso wär ich mittlerweile nicht abgeneigt. In einer der ersten Strandbars vor der Hauptstadt lasse ich mich nieder und genieße den ersten Kaffee des Tages. Vor mir nur eine Palme und der Blick aufs offene Meer.

Nachdem ich mich im Industriehafen verfahren und beinahe selbst verschifft hätte, schlängle mich durch die Gassen der von allen Seiten hupenden Hauptstadt. Man mag es nicht glauben, doch auf einer Solo-Biketour über eine Vulkaninsel ist das Gefährlichste immer noch der Straßenverkehr der knapp 40.000 Einwohner zählenden Hauptstadt. Ein halbes Jahr nach meiner Tour erfahre ich, dass ein Radfahrer in Rosario bei einem Zusammenstoß gestorben ist.
Ich rolle direkt aus dem Gewimmel der Stadt in Richtung Flughafen. Vom Flugfeld trennen mich nur ein mehrere Meter hoher Zaun und ein Steinwall, der im Gegensatz zu meinem unruhigen Weg die Roll- und Startbahnen zum einzigen ebenen Gelände der Insel erhebt.
Ich bin beeindruckt von den landenden Riesenvögeln und mache eine Pause, um eine Boeing im Landeanflug zu beobachten. Schon während ich mein Bike hinlege, beginnt der Boden um mich herum zu flimmern. Nein, ich habe keinen Sonnenstich. Etwa 30 Atlashörnchen tauchen aus dem sandigen Nichts auf und betteln um ein Stück meines Müsliriegels. Der felsige Streifen zwischen Flugfeld und Atlantik dürfte deutlich weniger Futter abwerfen als die von den frechen Fellnasen beeindruckten Touristen in attraktiveren Gegenden. Aus Mitgefühl teile ich meinen Müsliriegel mit den mageren Gestalten - unwissend, wie nötig ich ihn auf dem letzten Drittel meines Abenteuer noch gehabt hätte.

[Hinweis: Dieses Video entstand an einem anderen Ort auf Fuerteventura. Es gibt aber einen guten Eindruck über die frechen Atlashörnchen und daher findet es hier Platz.]

Direkt vom Flugfeld aus muss es eine alte Straße in Richtung Bergland geben, die dann wiederum als Satellitenbild-Trail bis ins Bergdorf Triquivijate und von dort zu meinem Zielort Antigua führen müsste. Nun aber stehe ich in der kargen Siedlung dem zahnlosen Alten gegenüber und zweifle zum ersten Mal an meinen Pfadfinderkünsten. Ich zeige ihm die eingezeichnete, alte Straße auf meiner Karte, doch er leugnet selbst diese Verbindung.
Nach den vergangenen Kilometern durch die Hauptstadt und den trostlosen Flughafen will ich aber meine Tour nicht an diesem Punkt beenden und fahre in jene Richtung, in der ich die Straße vermute. Tatsächlich bin ich nach einer mulmigen Fahrt durch einen symmetrisch angelegten Gewerbepark voller KFZ-Werkstätte, Bootsbauern und Fischer wieder auf Kurs.
Vom Satellitenbild weiß ich, dass sich am Ende der Straße eine Art Mine befinden muss. Als mir reihenweise Männer hinter staubigen Kleinlaster-Scheiben entgegenkommen, fühle ich mich zwar in der Fahrtrichtung bestärkt, in meinem Vorhaben aber zum ersten Mal verunsichert. Soll ich wirklich alleine in ein Gebiet von Minenarbeitern fahre, von wo aus laut dem einheimischen Alten kein Fortkommen gibt?
Die Straße endet tatsächlich mit der von Verbotsschildern gesäumten Einfahrt in das Abbaugebiet. Entlang der Mauer des Areals entdecke ich eine Art Pfad, der in Richtung der von mir anvisierten Berge verläuft.
Jetzt weiß ich, es muss einfach sein!

Ich warte nicht mehr länger an der Einfahrt, sondern schlage den Weg in Richtung des Barrancos, eines weiteren Flussbettes, ein. Die bisherigen Anstrengungen und die Nervosität der letzten Kilometer ziehen ihre Spuren. Ich bin nicht sicher, tatsächlich auf einem Weg zu sein. Felsbrocken und Geröll unterbrechen immer wieder den Pfad und auch die Zwiegespräche mit den weit verteilten Ziegen an den Vulkanhängen erinnern eher an Monologe. Trotzdem beruhigt mich die Anwesenheit irgendwelcher Lebewesen. Es fällt leichter, mein 10 kg leichtes Bike zu tragen, als es über die Geröllbrocken hinweg zu schieben. So erreiche ich endlich eine Kuppe, hinter der sich das braune Land weit erstreckt. Der schroffe Pfad wird wieder zu einer befahrbaren Schotterpiste und ich steuere auf einen Kirchturm zu, der am Fuß einer Bergkette auftaucht. Einmal durch Tranquivijate geschlängelt und einen letzten selbstgezeichneten Kartenabschnitt später rolle ich nach steinigen 80 km und gut 900 vulkanischen Höhenmetern in Antigua ein.

Während ich auf mein Taxi warte, lächle in die zweite, längst überfällige Espressotasse des Tages. Denn es gibt ihn doch, den Weg von Puerto del Rosario nach Antiqua.


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Dann schreib mir doch an bikebabsi@gmail.com – ich freu mich!