Gravelbike vs. Hardtail Mountainbike

Was ist eigentlich ein Gravelbike, für welches Modell hab ich mich aus welchem Grund entschieden und wo liegen die Stärken und Schwächen gegenüber einem Hardtail-Mountainbike? 

Diese Fragen – und nicht zu letzt die Frage: "Braucht es überhaupt ein Gravelbike?" – kläre ich in den folgenden Zeilen.

Zugegeben - es war ein Spontan-Kauf, von dem ich niemals dachte, dass er mir soviel Spaß machen würde. Denn eigentlich sollte das Liv Devote Gravelbike nur mein neues Stadtrad "mit Option auf winterliche Radwegtouren" werden.

Ich hatte im Grunde nur 2 Voraussetzungen:

  • unter € 2000,– (damit ich beim winterlichen Salz & Co ein bisschen weniger zimperlich als bei meinen MTBs sein kann)
  • LIEFERBAR muss es sein, und das auch noch in XS bzw. einer Mini-Rahmengröße (was ohnehin die Auswahl gewaltig einschränkt)

Aber was ist eigentlich ein Gravelbike?

Lange – eigentlich bis heute – bin ich der Meinung: Ein Gravelbike ist eine clevere Erfindung der Marketingabteilungen.
Gravel steht für das englische Wort Kies - es beschreibt also ein Rad, mit dem man Kieswege bestreiten kann. [Weltklasse-Leistung, oder?]
Dabei bedient es sich eines Rennradlenkers und gleichzeitig eben Schotter-tauglichen Reifen mit Profil, wie man es von Trekkingrädern schon länger kennt.
Die gesamte Geometrie und damit Sitzposition ist ebenfalls "komfortabler", also etwas aufrechter, als am Rennrad. Damit wird das Gravelbike zum kilometer-fressenden, robusten Hybrid zwischen Rennrad und Trekkingbike oder gar Hardtail-Mountainbike.
Ebenso vielseitig ist der Lebensraum von Gravelbikes: Gravel-Rennen spielen auf Länge und Terrain an. Daneben findet das Gravel zahlreiche Anhänger aus dem Radreise-Bereich, wo das (voll-bepackte) Gravel zuverlässig Strecke macht. Und auch als alltagstaugliches Rad im Straßenverkehr schlägt es sich ausgezeichnet.

Bevor ich auf die Vor- und Nachteil eines Gravelbikes im Vergleich zu einem Mountainbike eingehe, hier erstmal ein paar Daten:

Das Modell

  • Liv Devote 1 in Größe XS (39er Rahmen)
  • Listenpreis € 1500,– inkl. MwSt. (aufgrund eines Gutscheins konnte ich 10% sparen und es kostete mich € 1350,–
  • 2x10 Gänge (11x34, vorne 32/48)
  • Bremsen und Schaltung von der günstigen Shimano GRX400 Gruppe, 160cm Bremsscheiben
  • Alurahmen
  • 28'', Tubeless ausgeliefert
  • Pedale inkludiert, fahre aber ausschließlich mit SPD Pedalen

Der Kauf – ein Bike aus dem Netz

Zum allerersten Mal hab ich ein Bike online gekauft (bei Bikester übrigens). EinsteigerInnen würd ich das niemals raten, aber erstens war in der Umgebung kein passendes Bike zu haben und zweitens wusste ich genau, auf welche Geometrie-Daten ich besonders achten muss.

Das Rad wurde prompt geliefert (soweit ich mich erinnere,hab ich am Mittwoch, den 27. Oktober bestellt und am 2. November wurde es zugestellt – während der Corona-Pandemie, wohlgemerkt!)
Vorab hab ich bereits die Montageanleitung erhalten, die jedoch deutlich mehr Montageschritte ankündigte, als tatsächlich durchzuführen waren.
Letztlich musste ich nur

  • das Bike von diversen Schutzmaterialien befreien,
  • den Lenker montieren,
  • die Räder einsetzen (die waren tubeless-ready vormontiert und knallhart aufgepumt),
  • Sattel montieren (und davor Sattelstütze kürzen)
  • und die Pedale anschrauben.

In 1 Stunde war das Bike absolut fahrtüchtig, wobei die Entsorgung des gesamten Verpackungsmaterials wohl am längsten dauerte. ;) 

Extras: Licht, Trinkflaschenhalterung, Satteltasche und Steck-Kotflügel hinten, Speichenreflektoren-Clips anstelle der orangen Original-Reflektoren.
Die Schalt-Präzision war dann im Laufe der ersten Ausfahrt minimal zu justieren – das war's!

Das Gravel im Einsatz und im Vergleich zum Hardtail Mountainbike)

Seit einem knappen halben Jahr fahre ich jetzt mit dem Gravelbike nicht nur ins Büro, sondern – wer hätt's gedacht – über Berg, Tal und alles was dabei im Weg liegt. ;). Dabei wäre es unfair, das günstige Alu-Gravelbike mit meinem individualisierten Carbon-Hardtail in einen Topf zu werfen.

Dennoch gibt es natürlich Einsatzbereiche, wo das Gravelbike im Vergleich zu einem Hardtail-Mountainbike seine Stärken ausspielt:

  • Meter machen: Die schlanken und widerstandsarmen 28'' Reifen rollen im Vergleich zu stolligeren MTB-Reifen geräuschlos und vor allem schnell dahin. Die auf Geschwindigkeit (nicht Klettern) ausgelegte Übersetzung bringt so in der Ebene Speed aufs Bike, wo ich am MTB mit 1x11-fach Übersetzung bereits am oberen Limit strample. Dieser zentrale Unterschied, gepaart mit der vorwärts-orientierten Sitzhaltung, sorgt für echten Spaß in der Ebene.
    Spaß, wenn anderswo nix geht/erlaubt ist: Die Zahl der MTB-Strecken ist nach wie vor überschaubarst und zwischen April und November mit einer Wintersperre behängt. So rolle ich währenddessen nach Möglichkeit auf Radwegen, Güterwegen und Nebenstraßen dahin, und wenn mal ein Waldstück kommt - nur her damit!
  • Sorglos drauf los fahren: Die Bereifung und Geometrie des Gravelbikes ist für fast alles bereit. Schotter und kleine Hindernisse – sprich Wurzeln und Stufen – sind zwar am ungefederten Gravel "hart" zu nehmen, fordern aber gleichzeitig die Geschmeidigkeit der Fahrtechnik. Auch fester Schnee, eisige Stellen und Matsch steckt das Gravel mit einer Portion Erfahrung aus dem Bike-Bereich weg und schlägt sich so als Winterbike überraschend gut.
  • Gut bestückt: Als typisches "Radreise"-Bike sind bei diesem Modell bereits viele sinnvolle Vorbohrungen und Ösen vorgesehen. Sowohl 2 Bohrungen für Flaschenhalter, als auch Montagemöglichkeiten für Schutzbleche befinden sich standardmäßig im Rahmen. Ob und welche der Möglichkeiten man davon nutzt, ist natürlich vom Einsatzzweck des Rades abhängig. Ich habe 2 Flaschenhalter montiert, nutze aber nur einen leichtgewichtigen Heck-Kotflügel zum Anstecken in die Sattelstreben.

Doch ich will auch die Nachteile - oder besser gesagt Schwächen – des Gravelbikes im Vergleich zum Hardtail-MTB nicht unter den Tisch kehren:

  • Grenzen in der Steigung: Das Gravelbike, bzw. die 400er-Schaltgruppe ist nicht für Bergziegen gemacht. Bei größeren Steigungen ist damit im vergleich zum "Bergrad" definitiv ein deutlich größerer Kraftaufwand nötig. Welche Übersetzung für seine Zwecke und Umwelt passt, sollte man sich also gut überlegen.
  • Terrain und Stabilität: Wenngleich das Gravelbike wirklich unkompliziert mit verschiedenen Untergründen umgeht: "Auftrieb" bietet es keinen. Bei Schneeoberflächen ist daher der breitere MTB-Reifen trotzdem die sicherere Wahl. In Kombination mit dem breiten Lenker erhält der Fahrer so eine ausbalancierte Position, während die schmale Position am Gravel einiges an Balancier-Fähigkeiten verlangt.
  • Federung? Fehlanzeige! Das Gravelbike besitzt eine starre Gabel, natürlich auch keine Federung am Heck und etwa 5bar in den schmalen Reifen.. Auf ruckeligen Passagen wird der verwöhnte Biker also jedlichen Komfort vermissen und ist in seinen eigenen Dämpfungs-Eigenschaften aus der Haltung heraus gefordert …

Braucht es also ein Gravelbike?

Nein. Mit einem vorwärts orientierten Hardtail-Mountainbike ist der Aktionsspielraum Winter wie Sommer nach wie vor höher.
Ja. Weil mit einem Gravelbike auch Asphaltstrecken und Ebenen Speed & Spaß machen und den Radius erweitern.

Wenn also ein Gravel im Bikestall dazu führt, ein- zweimal öfter aufs Bike zu steigen – dann greift einfach zu!


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